Band V
Es wird kommen der Tag, an dem sich die Kinder
der Hranngar aus den Fluten der Meere erheben
und ihre schrecklichen Schlangenleiber an Land wälzen,
um Städte zu zermalmen.
Selbst die Geringsten unter den Kindern der Dämonenechse,
die sich schon in diesen Tagen unruhig in den Abgründen der Meere winden,
können mit ihren Leibern die gewaltigsten Schiffe zerdrücken
wie die übermütige Kinderhand die Schale eines Eis.
Verschafft euch den unversehrten Reißzahn einer Seeschlange!
Er gewährt euch Schutz in der Stunde, da keine Waffe
von sterblicher Hand euch noch zu retten vermag.
Vor der Ostküste Maraskans, das Meer durchpflügend,
werdet ihr finden, was euch bestimmt ist.
An der Ostküste Maraskans,
wo sich die Finsternis, das Meer und der Fels miteinander vermählen,
werdet ihr finden, was ihr sucht.
Schlangengrab
Wer König der Meere werden will, soll einer Seeschlange aus den dunklen Tiefen der Ozeane einen Reißzahn aus dem Kiefer brechen – einer Bestie, so riesig, dass sie sich wie ein Turm aus den aufgepeitschten Wogen erhebt, wenn sie sich auf ihre Opfer stürzt. So lautet die fünfte Aufgabe, der sich Thorwals berühmteste Drachenführer stellen.
Asleif Phileasson verdingt sich dafür auf einem Haijäger, der in tiefe Gewässer vordringt. In schnellen, aber auch zerbrechlichen Booten harpuniert man die unersättlichen Mörder des Perlenmeers, in der Hoffnung, auch einer Seeschlange zu begegnen. Doch es lauern noch gefährlichere Gegner in der Sommerhitze über dem unbewegten Wasser. Beorn Asgrimmson tut sich mit Leif Katlasson zusammen, einem Thorwaler, den er von der legendären Plünderung Porto Paligans kennt. Dieser zeigt sich entsetzt, als Beorn ihm enthüllt, dass er auf der Suche nach einer Seeschlange ist – einer Gigantin des Meeres, neben der sich sein Langboot wie eine Nussschale ausnehmen wird. Doch er weiß: Nirgendwo ist für einen Recken so viel Gold zu holen wie im Schildwall des Blenders.
Ihre Jagd führt die Kapitäne auf Aventuriens größte Insel: das vom Krieg zerrüttete Maraskan. Die Menschen, die ihre Küsten bewohnen, gelten als seltsam, sprechen sich mit »Bruderschwester« an, preisen unentwegt die Schönheit und würzen ihre Speisen so scharf, dass man Decksplanken damit abbeizen kann. Ihre Widerspenstigkeit treibt die Besatzungstruppen des Kaisers ebenso in die Verzweiflung wie das feuchtheiße Klima, das dafür sorgt, dass kein Mensch das Innere der Insel sein Eigen nennen kann. Im Dschungel kämpfen Heere mit tausend mal tausend Kriegern um die Vorherrschaft, und jeder Recke hat wenigstens sechs Beine. Ihre Heerführerinnen sind die Marasken, schweinsgroße Bestien, die aussehen wie eine Kreuzung aus Tarantel und Skorpion.
Auch Relikte aus einer alten, dunkleren Zeit finden sich auf Maraskan. Voller Hass starren Augen aus geschuppten Gesichtern auf das warme Blut, das aus den Adern der Opfer quillt, die sie ihren grausamen Göttern darbringen.
Auch in diesem brodelnden Gemenge aus Gefahr und Abenteuer bleibt der Blick der Drachenführer fest auf eines gerichtet: den Schlangenzahn, der sie einen Schritt näher zum Titel König der Meere bringen soll!
Die Schlangengrab-Leserunde befuhr ab dem 16. März das Perlenmeer.
Aus dem Schaffensprozess
Bernhard Hennen
Spannend für die Autoren wird es immer, wenn es um das Titelbild geht. Im Heyne Verlag sind wir in der privilegierten Position, dass wir Vorschläge zu unserem Wunschcover machen dürfen, was durchaus nicht selbstverständlich ist. So umfasste das Cover-Exposé für Schlangengrab fünf Seiten mit vielen Beispielbildern zu Details. Im positivsten Sinne erschlagen waren Robert und ich, als das umgesetzte Titelbild eintraf. Das Cover ist für mich mein persönlicher Favorit in der Reihe. Die Seeschlange, das Drachenboot … einfach nur großartig! So müssen Fantasy-Cover aussehen! Während ich an der Szene geschrieben habe, hing es als Ausdruck vor mir an der Wand. ☺ (Ja, was es auf dem Cover zu sehen gibt, kommt auch im Roman vor – ebenfalls nicht selbstverständlich.)
Während der Arbeit am fünften Band der Saga hat der Ulisses Verlag ein Crowdfunding zu den Bänden I und II durchgeführt, um sie gemeinsam in einer Prachtausgabe mit dem Titel Eisnächte herauszubringen. Je nach Wunsch in Leinen oder in Leder gebunden. Die Bücher werden großformatig, mit zusätzlichen Karten und Illustrationen, echte Hingucker! Spannend war jedoch, wie viele Leser eine solche Ausgabe interessieren würde. Vorsichtshalber war das Ziel des Crowdfundings deshalb erst einmal auf 5.000 Euro gesteckt. Aber es kam anders … Ganz anders! Das Interesse war überwältigend und schließlich wurden etwas mehr als 30.000 Euro eingenommen, sodass es möglich war, die Bücher weiter aufzuwerten. (Seidene Lesebändchen, Metallecken für die Lederausgabe, weitere Illustrationen.) Einziger Wermutstropfen in dieser Erfolgsgeschichte wurde eine verspätete Auslieferung durch eine Panne bei der Herstellung. Dennoch werden wir 2018 ganz sicher eine weitere Prachtausgabe zu den Romanen III und IV der Phileasson-Saga angehen.
Eine Besonderheit, die man beim Crowdfunding einkaufen konnte, war, einen Auftritt im Roman zu bekommen. Als Autor habe ich noch nie eine Wunschfigur eines anderen in eines meiner Bücher hineingeschrieben. So etwas könnte ja auch nach hinten losgehen … Aber ich hatte Glück und lernte den Schöpfer eines leicht zwielichtigen Grolms kennen, der Beorn bei verzwickter Lage in einer kleinen Hafenstadt hilft. Nicht minder interessant war der frostige Halbelf, dessen sich Robert annahm.
Auch mir selbst habe ich mit diesem Roman einen lange gehegten Wunsch erfüllt. Viele Jahre schon gibt es Gerüchte über Beorns Überfall auf Porto Paligan, eine großangelegte Umverteilung al’anfanischen Silbers in thorwalsche Lederbeutel. Was genau in Porto Paligan geschehen ist und wie Beorn sein Auge verlor und seinen legendären Ruf begründete, ist der Stoff des wieder einmal recht langen Prologs geworden.
Und was tut der Blender sonst noch? Er nimmt seine Aufgabe ernst und stellt eine Seeschlange, ganz so, wie es auf dem Cover zu sehen ist. Welche Rolle gebratene Meerschweinchen im Roman spielen, wenn der Blender mit einer Hexe verhandelt, müssen Sie selbst herausfinden. ☺
Robert Corvus
Viele Leserinnen und Leser fasziniert an der Phileasson-Saga besonders, dass diese epische Wettfahrt die unterschiedlichsten Schauplätze miteinander verbindet. Wir haben die Drachenführer ins Eismeer begleitet und mit ihnen gemeinsam ein mystisches Gemäuer erforscht. Wir haben den wilden Nordosten Aventuriens durchquert und ein lange verlorenes Artefakt im Land der Ritter und Druiden gesucht. Jede dieser Geschichten hat ihre ganz eigene Stimmung.
Für Schlangengrab gilt das vielleicht in besonderem Maße, denn diesmal geht es nach Maraskan. Anders als bei nahezu sämtlichen anderen Regionen Aventuriens gibt es für die größte Insel des Kontinents kein Vorbild in der irdischen Historie. In ihren Städten und Dschungeln betrachtet man die Schönheit als etwas, das die gesamte Welt durchdringt – denn diese ist ein Diskus, den die Gottheit Rur als Geschenk für Gror angefertigt hat, der und die ihr zugleich Bruder und Schwester ist. Die Dualität durchzieht hier das Leben, bis hin zu den Speisen, die entweder feuerscharf oder zuckersüß sind. Ich habe mich sehr darauf gefreut, in diese völlig fremde, fantasiereiche Vorstellungswelt einzutauchen.
Das liegt auch am Werk unseres Kollegen Karl-Heinz Witzko, der die Taschenbuchreihe zu Das schwarze Auge mit sechs Romanen bereichert hat, die Maraskan vorstellen. Während der Recherche zu Schlangengrab habe ich sie mit Vergnügen gelesen und mir eifrig Notizen gemacht, um später Motive aufgreifen zu können. Nicht zuletzt deswegen wird mir der schriftstellerische Ausflug nach Maraskan unvergesslich bleiben. Preiset die Schönheit, Bruderschwestern!
Die Dualität prägt auch in besonderer Weise das Geschehen in diesem Roman. Wir bewegen uns auf hoher See und in tiefem Dschungel, in einer brodelnden Stadt und in der Wildnis, man droht zu verdursten und zu ertrinken, feiert mit Freunden und kämpft mit Feinden auf Leben und Tod. Besonders Shaya Lifgundsdottir durchschreitet die Extreme menschlichen Empfindens mit tiefster Verzweiflung und hochfliegendster Hoffnung. Sie gehört zu den Figuren, aus deren Perspektive ich besonders gern schreibe, und beinahe bin ich versucht, mich bei ihr wegen des halsbrecherischen Ritts zu entschuldigen, auf den ich sie in diesem Roman geschickt habe. Dass ich Irulla ein wenig gefoppt habe, lässt mich dagegen auch in der Erinnerung noch schalkhaft schmunzeln.
Diejenigen, die das Abenteuer H’Rangas Kinder gespielt haben, das als Vorlage für Schlangengrab diente, werden einige Abweichungen bemerken. So habe ich den Mocha durch die gelbe Rirgit ersetzt, um etwas mehr Exotik in die Geschichte zu bringen, und die Begegnung mit dem Piraten Kodnas Han findet an anderer Stelle statt, um eine ausgiebige Erkundung des maraskanischen Dschungels zu ermöglichen. Es wäre zu schade gewesen, wenn unsere Leserschaft nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf die schönste Insel Aventuriens hätte werfen dürfen …
Eine andere Variation zum Abenteuer geht auf einen Wunsch der Rollenspielredaktion zurück. Die Phileasson-Kampagne hat Aventurien mitgeprägt, aber diese Fantasywelt ist nicht statisch. Mit großer Freude arbeiteten Hunderte, wenn nicht Tausende Fans mit ihren Vorschlägen daran, sie immer bunter und faszinierender zu machen. In allen Aspekten gewinnt die Ausarbeitung an Tiefe. Das betrifft auch die aventurische Tierwelt. So war der weiße Ifirnshai zu der Zeit, als die Abenteuer geschrieben wurden, ein veritabler Raubfisch im Perlenmeer. Mittlerweile wurde jedoch festgelegt, dass er nur in den kalten Gewässern des Nordens anzutreffen ist – und so gibt in Schlangengrab der Utharshai sein Debüt.
Illustrationen
Vignetten zieren Beginn und Ende der Kapitel in den Phileasson-Romanen. In diesem Video zeigt Illustratorin Nadine Schäkel, wie die Kapitelstarter-Vignette zu Schlangengrab entstand:
Die Anhänge
Wer sich das Glossar und das Dramatis Personae ausdrucken möchte, um sie immer griffbereit zu haben, wird hier fündig.
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